Doppelte Speicherkarten, verschlüsselte Festplatten, versteckte Kamera: Die Regisseurin Susanne Regina Meures ist für ihren Master-Abschlussfilm an der ZHdK viele Risiken eingegangen. Ihr Dokumentarfilm «Raving Iran», der am 20. Oktober 2016 in die Schweizer Kinos kommt, begleitet Anoosh und Arash, die als Blade&Beard ihrer im Iran verbotenen Leidenschaft nachgehen: dem Auflegen von Technomusik.

VON JUDITH HUNGER
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Judith Hunger: Ein Film über die Technoszene und Raves im Iran. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Susanne Regina Meures: Vor fünf Jahren las ich einen kurzen Artikel über Technopartys in der persischen Wüste. Die Vorstellung von Mini-«Burning Man»-Festivals in einem Land mit einem der repressivsten Regimes der Welt hat mich fasziniert. Über Facebook habe ich Leute in der Szene kontaktiert, bin dann nach Teheran geflogen und habe mich mit vielen von ihnen getroffen. Es war kompliziert und riskant, und ich musste davon ausgehen, dass niemand gewillt sein würde, bei einem Film mitzumachen. Doch Anoosh und Arash waren bereit und offen dafür, über ihre Leidenschaft zu sprechen und sich filmen zu lassen. Ihre Freunde und Freundinnen haben wir im Film unkenntlich gemacht.

Wie ist es dir gelungen, in einem so restriktiven Land wie dem Iran zu drehen?
Dieser Film war kein einfaches Unterfangen. Es versteht sich von selbst, dass wir keine offizielle Dreherlaubnis bekommen hätten. Wir haben auch keine Akkreditierung als Filmschaffende beantragt. Filmequipment ins Land zu bekommen ist extrem schwierig. Meine Tonausrüstung wurde am Zoll konfisziert. Ich hatte sie per Kurier einführen wollen, wohlweislich ohne Absender. Schliesslich gelang es mir, neues Equipment vor Ort zu besorgen.

Die Dreharbeiten mussten gut vorbereitet und durchdacht sein. Gefilmt haben wir vor allem mit einer Fotokamera und an besonders heiklen Orten mit einem speziell programmierten iPhone. Für die Fotokamera hatte ich verschiedene Speicherkarten dabei. Die einen nutzte ich zum Filmen, auf den anderen waren touristische Bilder. Nach jedem Dreh tauschte ich die Karten sofort aus und versteckte die Drehdaten in meinem BH. So konnte ich bei Polizeikontrollen meine Urlaubsbilder vorzeigen.

Für Aufnahmen in offiziellen Gebäuden oder Institutionen benutzte ich ausschliesslich ein iPhone. Ich habe es in einem Hemd versteckt, das ich auf dem Basar habe anfertigen lassen. Bis das Hemd sass und funktionierte, brauchte es zehn Besuche beim Schneider. Genutzt habe ich es unter anderem beim Dreh im Ministerium für Kultur und Islamische Führung. Dank der versteckten Kamera bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer einen höchst authentischen Einblick in die Bewilligungsverfahren und in die Art, wie diese Ämter funktionieren.

Wie gefährlich waren diese Dreharbeiten?
Der Dreh im Ministerium für Kultur und Islamische Führung war sehr riskant. Hinzu kam, dass wir nur einen Versuch hatten. Es musste also alles akribisch vorbereitet werden. Wir sind viele Male dorthin gegangen, haben das Gebäude inspiziert und abgeklärt, wer wo wie sitzt, damit wir überhaupt etwas vor die versteckte Linse bekommen würden. Zudem mussten wir herausfinden, ob wir am Eingang durchsucht werden, da ich unbedingt Funkmikrofone verwenden wollte.

Filmstill aus «Raving Iran»

Filmstill aus «Raving Iran»

Im Film zeigst du einen Rave in der Wüste. Wie hast du diesen erlebt?
Die Organisation der Party war wirklich wahnwitzig, die Vorbereitungen liefen über Wochen. Es mussten Freunde gefunden werden, die mutig genug waren, sich auf einen solchen Wochenendtrip einzulassen. Hinzu kam, dass niemand den DJs Equipment leihen wollte. Denn wenn die Technik konfisziert wird, ist sie für immer weg. Des Weiteren mussten ein Bus und ein williger Fahrer, der die Partytruppe und die ganze Technik an den Polizeistopps vorbei in die Wüste zu fahren bereit war, aufgetrieben werden. Aus Sicherheitsgründen wurde das Equipment dann schliesslich separat transportiert. Schmiergelder wurden verteilt, um die jungen Leute an der Party und in ihrer Unterkunft zu schützen. An allen Ecken und Enden gab es Probleme. Wir wussten bis etwa 30 Minuten vor der geplanten Abfahrt nicht, ob die Reise überhaupt stattfinden würde.

Nach der Ankunft in der Oase verlief alles relativ reibungslos. Die Anatomie der Partys im Iran unterscheidet sich nicht gross von jener der hiesigen Outdoorpartys, die vielleicht irgendwo in den Bergen stattfinden. Allerdings sind die Umstände, wie beispielsweise die Angst, aufzufliegen, oder das Zahlen von Schmiergeldern – überhaupt das ganze Versteckspiel –, natürlich nicht mit jenen in der Schweiz vergleichbar.

Was hätte passieren können, wenn ihr aufgeflogen wärt?
Das Problem im Iran ist die Willkür. Deswegen lässt sich das Ausmass möglicher Bestrafungen nicht abschätzen. Es wäre aber mit Sicherheit nicht lustig geworden.

Wie oft warst du für die Dreharbeiten im Iran? Wie müssen wir uns die Ein- und die Ausreise vorstellen?
Ich war über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren fünfmal dort. Ich hatte Glück. Es ist keine Selbstverständlichkeit, alle paar Monate ein neues Touristenvisum ausgestellt zu bekommen. Bei einer Ablehnung wären die Dreharbeiten zu einem abrupten Ende gekommen.

Die Ein- und die Ausreise am Flughafen in Teheran waren jeweils von gründlichen Gepäckkontrollen begleitet. Abgesehen von Unmengen Schweizer Schokolade auf dem Hinflug und iranischen Nougats auf dem Rückflug hatte ich nichts Auffälliges im Gepäck.

Das Filmmaterial aus dem Land zu schaffen, war eine andere Herausforderung. Ich habe Festplatten verschlüsseln lassen, die offene Partition mit touristischen Bildern gefüllt und die Drehdaten in der verschlüsselten Partition gespeichert. Iranische Studierende, die in europäischen Städten studieren und auf Heimaturlaub waren, haben die Festplatten dann mitgenommen. Das Filmmaterial landete also verteilt in ganz Europa, von wo aus ich es per Kurier zurück in die Schweiz habe bringen lassen.

Gibt es deiner Ansicht nach musikalische Unterschiede zwischen DJs aus dem Iran und aus Europa? Sind die iranischen DJs trotz Repression international gut vernetzt?
Schwer zu sagen. Es gibt viel weniger DJs im Iran, deswegen ist auch die musikalische Bandbreite kleiner. International vernetzt sind sie, aber da ihre Möglichkeiten, das Land zu verlassen, sehr limitiert sind, ist ihr Kontakt auf das Internet beschränkt.

Wie geht es Anoosh und Arash heute?
Die beiden haben eineinhalb Jahre in einer Asylunterkunft in den Schweizer Bergen verbracht, umgeben von Kühen und Ziegen, und auf den Bescheid der Behörden gewartet. Seit Ende April wissen sie, dass sie hierbleiben dürfen! Sie hoffen natürlich, nun mehr auflegen zu können, endlich zu reisen und die Freiheit zu leben, die sie sich erträumt haben.

www.ravingiran.com
DJs Blade&Beard auf Facebook

DDK_Raving-Iran_SusanneMeuresGeboren in Deutschland, hat Susanne Regina Meures erst ihren Bachelor in Kunstgeschichte und Fotografie am Courtauld Institute of Art in London gemacht. Den Master Film, Profil Realisation Dokumentarfilm, absolvierte sie an der ZHdK. Mit ihrem Erstling «Raving Iran» überzeugte sie an über 40 Filmfestivals und erhielt zahlreiche Preise – unter anderem am Visions du Réel in Nyon, wo sie den Prix du Jury SSA/SUISSIMAGE erhielt.

Am 20. Oktober 2016 feiert «Raving Iran» im Kino Riff Raff in Zürich offiziell Premiere. Mit dabei sind die beiden Hauptdarsteller Anoosh und Arash, die an der Afterparty als Blade&Beard auflegen.
Judith Hunger (judith.hunger@zhdk.ch) ist verantwortlich für die Kommunikation im Departement Darstellende Künste und Film der ZHdK. Sie ist leidenschaftliche «Filmeschauerin», war noch nie im Iran und schon gar nicht in der Wüste. Sie überlegt sich allerdings, anstelle der geliebten Bergwanderungen einmal die Wüste zu durchlaufen.
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