Herbert Leupins Plakate heute
Wie Auftraggeber heute auf Leupins Plakate reagieren würden
Anlässlich seines 100. Geburtstags ehrt das Museum für Gestaltung mit Herbert Leupin einen der populärsten Plakatgestalter der Schweiz. Was würden Leupins Kundinnen und Kunden heute zu seinen Plakaten sagen? HERMANN STRITTMATTER schöpfte aus seiner langjährigen Erfahrung als Werber und fingierte für die Ausstellungspublikation einige Kommentare.
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Schweizer Autofahrten (1939)
«Diese Darstellung einer von sinnlosen Autobahnen zerstörten Schweiz hat uns im Moment gerade noch gefehlt! Besonders, weil wir da einen offenbar autofreien Sonntag erwischt haben, an dem zynischerweise nur ein wanderndes Ehepaar und ein Alpkäse-Hirt den gleissenden Beton bevölkern. Wie wollen Sie uns gegen den zu erwartenden Shitstorm-Tsunami schützen, wenn in allen Medien, insbesondere den angeblich sozialen, über uns hergefallen wird?»
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Steinfels-Seife (1943)
«Was fällt Ihnen ein, unsere edle, sorgfältig gesiedete Seife so hässlich und unappetitlich darzustellen? Auch der fürchterlich dunkle Hintergrund wirkt abweisend, da hilft auch das herzige Wassertröpflein nicht darüber hinweg. Zudem scheint uns der Schattenwurf der einzelnen Elemente perspektivisch nicht korrekt. Und überhaupt: Man legt eine Wäscheklammer doch nicht auf ein Stück Seife!»
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Captain 80 Cts. (1946)
«Nach dem Papagei, dem Pelikan, dem Hund, dem Seehund, dem Rössli, dem Schmetterling, der Biene und der Kuh schon wieder ein Tier! Und dann erst noch ein fettes Walross. Sind Sie Zirkus- oder Zoodirektor? Für uns steht der Mensch als Konsument im Vorder- und Mittelpunkt. Zeigen Sie einen vertrauenswürdigen, sportlichen, rassigen Kapitän, schön wie ein Filmstar, aber doch zugänglich wie ein fürsorglicher Onkel.»
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Lieber Eptinger (1947)
«Jetzt passen Sie aber auf! Damit riskieren wir einen Boykott des Gastgewerbes, eine Klage des Weinproduzentenverbandes und der Brauereien wegen unlauteren Wettbewerbs. Dabei gehören wir ja selber einer Brauerei!» (Möglicherweise hat das aber damals echt so getönt.)
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Milka-Kuh (1952)
«Eigentlich hat uns die Idee damals gefallen, doch die Ausführung fanden wir nicht so toll. Aber wir fanden diese liebe, schmackhafte Kuh dann so sympathisch, dass wir uns zur Ausführung entschlossen haben. Vor allem auch, damit nicht irgendeine amerikanische Werbeagentur den Einfall abkupfert.» (Was dann allerdings doch geschah.)
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Ford (1954)
«Jetzt hören Sie mal: Der Auftrag hiess doch, unsere Marke optisch mit der zielführenden Dynamik eines zukunftsweisenden Hightech-Unternehmens auszurüsten. Und jetzt kommen Sie mit horizontalen, vertikalen und diagonalen Buchstabenspielchen – kindisch! Wo bleibt das Produkt mit seinem unverwechselbaren Glamour-Approach?»
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Rössli (1954)
«Nachdem vor Jahren ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen eingeführt worden ist, sind unsere Verkäufe total eingebrochen. Da stellte sich natürlich schon die Frage: Können wir neue Zielgruppen-Nischen ausfindig machen? Tiere vielleicht? Warum nicht? Sie gehören ja auch zu unserer Gesellschaft! Ein erster Versuch mit einem rauchenden Pferd liess uns aber von dieser Marketing-Stossrichtung abkommen. Da wird nun eindeutig die Würde des Tieres verletzt. Überdies stimmt etwas nicht: Auch einem Pferd kann der Rauch nicht aus den Nüstern kommen, wenn gleichzeitig der Glimmstengel raucht. Auch heute nicht.»
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Bell aufgespiesst (1965)
«Jetzt haben wir doch mühevoll an einem neuen Logo herumgedoktert, viel Zeit und Geld dafür investiert, und jetzt kommen Sie und spiessen brutal unser Markensymbol auf! Arbeiten Sie vielleicht für die Konkurrenz, die uns fressen will?»
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SBB Super (1978)
«Jetzt wird dann die NEAT fertig, wir fördern den ÖV sowie die Verlagerung Strasse-Schiene, und Sie wissen nichts Gescheiteres, als uns ein Barrel Erdöl, das Symbol für nicht erneuerbare Energie, als Marketing-Maskottchen zu verkaufen. Natürlich sind wir super, aber ohne Benzin. Zeigen Sie lieber den Stau auf der Gotthard-Autobahn.»
Bis 9. Oktober 2016
Eingangshalle Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
www.museum-gestaltung.ch
Ausstellungsgespräch: Mittwoch, 7. September 2016, 18 Uhr. Bettina Richter, Kuratorin der Ausstellung und der Plakatsammlung, im Gespräch mit den Gestaltern Charles Leupin und Niklaus Troxler
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Ob Süssgetränk Pepita, Eptinger-Mineralwasser oder Steinfels-Seife: Diesen und vielen weiteren Produkten verhalf Herbert Leupin (1916–1999) zu einer eigenständigen Markenpersönlichkeit. In der Hohezeit des Sachplakats verlieh er alltäglichen Dingen durch ihre haptisch-sinnliche Wiedergabe eine faszinierende Aura. Die wirklichkeitsgetreue Erfassung war jedoch nur eine seiner Spielarten. Souverän experimentierte Leupin mit unterschiedlichen Techniken und gestalterischen Zugriffen. Auch seine skizzenhaft hingeworfenen Bildgeschichten voll Humor und Poesie zählen zu Ikonen der Plakatgeschichte. So darf Leupin zu den Werbern der ersten Stunde gezählt werden, da er es exemplarisch verstand, professionelles Handwerk, werbestrategische Anforderungen und eine gestalterische Haltung in einer Person zu vereinen.
Bettina Richter ist Kuratorin der Ausstellung «Herbert Leupin – Verführung, Witz und Poesie» und der Plakatsammlung des Museum für Gestaltung.