Er ist noch Student und hat bereits in einer der erfolgreichsten Fernsehproduktionen der Gegenwart, der US-Geheimdienst-Serie «Homeland», mitgespielt: Alireza Bayram bewegt sich zwischen internationalen Filmsets, europäischen Theaterbühnen und dem Zürcher Toni-Areal. Ein Gespräch über das Arbeiten unter globalisierten Bedingungen und den Umgang mit Ungewissheiten.
VON ISABELLE VLOEMANS
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Isabelle Vloemans: Du kommst gerade aus London, was hat Dich dorthin geführt?
Alireza Bayram: Ein Teil meiner Familie lebt in London und ich habe sie besucht.
Du bist auch beruflich viel unterwegs – was waren Deine letzten Stationen?
In Berlin war ich für verschiedene Filmproduktionen, in Hamburg wegen einer Hauptrolle im «Tatort». (überlegt) Für die Krimiserie «SOKO» habe ich in Leipzig gedreht, für eine Produktion der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Theater habe ich vor allem in Basel und Zürich gespielt, Gastspiele führten ins Ausland.
Du lebst seit vielen Jahren von der Schauspielerei, und dies ohne Ausbildung an einer Schauspielschule – wie ist das alles losgegangen?
Durch meine Zwillingsschwester kam ich in den Jugendtheaterclub der HMT [Anm. d. Red.: Die Hochschule Musik und Theater Zürich HMT ist eine der Vorgängerinstitutionen der ZHdK]. 2007 hatte ich erste Engagements am Jungen Theater Basel, das einen guten Ruf geniesst. So kam alles ins Rollen. Mein erster Film war ein Abschlussfilm der ZHdK. Inzwischen habe ich übrigens in rund einem Dutzend ZHdK-Filmen mitgespielt, darunter der oscarnominierte «Parvaneh».
«Weil alles sehr schnell gehen musste, habe ich hier an der ZHdK ein Video gedreht und dieses nach Berlin geschickt, um für die Rolle vorzusprechen.»
Seit Herbst 2014 studierst Du an der ZHdK Film, gleichzeitig läuft Deine Karriere auf Hochtouren. Wie genau bist Du zum Part in «Homeland» gekommen?
Das war im August vergangenen Jahres. Ich war gerade in einem Seminar zum Thema Einsatz von Licht im Film, als die E-Mail meiner Berliner Agentur reinkam. Diese war ihrerseits von einem Berliner Castingbüro angefragt worden. Dazu muss man wissen, dass die fünfte Staffel von «Homeland», in der ich mitgespielt habe, in Berlin spielt. Für meine Rolle war offenbar zunächst ein Amerikaner vorgesehen, doch wäre dies nicht authentisch gewesen, da meine Figur perfektes Deutsch sprechen musste. So hat ein Schweizer die Rolle bekommen. (lacht laut) Weil alles sehr schnell gehen musste, habe ich hier an der ZHdK ein Video gedreht und dieses nach Berlin geschickt, um für die Rolle vorzusprechen.
Wie ging es weiter?
Nach zwei Tagen kam die Zusage, wenige Tage später begann der Dreh.
Das ist ja ein enorm kurzfristiges Engagement, Deine Rolle war doch ziemlich wichtig!
Ja, es war für mich sehr eindrücklich, mit wie wenig Vorlauf bei «Homeland» gearbeitet wird. Die kreativen Macher von «Homeland» hatten sich mein Material schon vor dem Casting angesehen, und so war ich bereits in der engeren Auswahl und konnte dann mit dem Casting überzeugen. Generell sind die Macher von «Homeland» bereit, Risiken einzugehen. Deshalb ist die Serie immer brandaktuell, kann auf das Zeitgeschehen eingehen. Die letzte Folge der fünften Staffel wurde bereits drei Wochen nach Drehschluss, am 20. Dezember 2015, ausgestrahlt. Dass das möglich war, hat natürlich mit der enormen Manpower zu tun, die einer Produktion
«Erstaunlich war, wie sehr die Drehbuchautoren, die beim Dreh präsent waren, auf Vorschläge der Schauspieler eingingen.»
solchen Kalibers zur Verfügung steht. Allein Drehbuchautorinnen und -autoren gibt es zehn, wovon jeweils zwei für eine Folge verantwortlich sind. Als wir die fünfte Staffel zu drehen begonnen haben, waren nur vier der zwölf Drehbücher geschrieben. Und eine Folge ist ja zwischen 50 und 60 Minuten lang. Wir Schauspielerinnen und Schauspieler haben die Drehbücher während des Drehs im 10-Tage-Takt Buch für Buch erhalten, Änderungen gab es jeweils bis zum Drehtag. Im Cast wurde viel darüber gewerweisst, wie sich die verschiedenen Storylines entwickeln würden. Erstaunlich war, wie sehr die Drehbuchautoren, die beim Dreh präsent waren, auf Vorschläge der Schauspieler eingingen. So wurde auf meinen Vorschlag hin eine ganze Szene gestrichen, die meine Figur, wie ich fand, um einiges weniger interessant gemacht hätte.
Wie hast Du Dich auf die Rolle des Jihadisten Qasim vorbereitet?
Ich wusste zu Beginn fast nichts über meine Figur. Als ich das Drehbuch für die erste Folge erhielt, habe ich Qasim darin gar nicht gefunden. Ich habe nachgefragt, ob man mir vielleicht das falsche Buch geschickt habe. «Keine Sorge, Du wirst noch eingebaut», war die Antwort. Dass Qasim zu einer tragenden Figur werden sollte, war da noch nicht abzusehen. Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht viel mehr machen, als Dokus über Salafisten in Berlin zu kucken. Ich wollte die Motive dieser Leute verstehen und habe die Themen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, recherchiert.
«‹Homeland› ist eine hochkarätige Serie, die Vieldeutigkeit und Ambivalenzen zulässt. Deshalb konnte ich darauf vertrauen, dass Qasim kein Stereotyp bedient.»
Wie war es für Dich, einen Jihadisten zu spielen? «Homeland» wurde teilweise ja dafür kritisiert, dass es kulturelle Stereotype reproduziere.
Ich finde nicht, dass diese Kritik zutrifft. Die Serie enthält auch viel amerikanische Selbstkritik mit Blick auf den Krieg gegen den Terror. Zwar wusste ich zu Beginn nicht viel über meine Figur, aber ich wusste, dass «Homeland» eine hochkarätige Serie ist, die Vieldeutigkeit und Ambivalenzen zulässt. Deshalb konnte ich darauf vertrauen, dass Qasim kein Stereotyp bedient. Er wird im Verlauf seiner Entwicklung ja auch von immer stärkeren Zweifeln geplagt. Sein Handeln habe ich mir so erklärt, dass er das Gute will und sich dabei so tief in Ideologien verheddert, dass er da nicht mehr rausfindet.
«Ich finde es super, dass das Bachelor-Studium Film an der ZHdK ein Grundlagenstudium ist, bei dem man Einblick in alle filmischen Arbeitsbereiche erhält, also in Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt, Produktion.»
Du studierst seit Herbst 2014 an der ZHdK Film. Mit welchem Ziel?
Ich will eines Tages Regie führen. Das hat mich schon immer interessiert. Ich finde es super, dass das Bachelor-Studium an der ZHdK ein Grundlagenstudium ist, bei dem man Einblick in alle filmischen Arbeitsbereiche erhält, also in Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt, Produktion. Ich glaube, ein Verständnis für alle Bereiche zu besitzen, ist für einen Regisseur sehr wertvoll. Die Infrastruktur an der ZHdK ist zudem extrem gut. Hier erlernt man das Handwerk und die technischen Aspekte des Filmemachens. Was man daraus macht, hängt dann vom Einzelnen ab. Tatsächlich hat mich dieser facettenreiche Einblick ins Filmemachen auch als Schauspieler weitergebracht.
Du scheinst sehr ausgebucht – wie bringst Du Deine Schauspielerkarriere und Dein Studium unter einen Hut?
Zum Glück ist mein Studiengangsleiter Bernhard Lehner extrem entgegenkommend. Ich konnte ihm ja erst kurz vor Semesterstart sagen, dass ich während des dritten Semesters nicht in Zürich sein würde. Meine Mitarbeit bei «Homeland» wurde mir als Praktikum angerechnet. Als Gegenleistung habe ich meine Erfahrungen bei «Homeland» in Lehrveranstaltungen mit meinen Mitstudierenden geteilt.
Ist es nicht komisch, wieder als Student im Toni-Areal ein und aus zu gehen, nachdem man mit Stars wie Claire Danes gearbeitet hat?
Nein, überhaupt nicht, ich habe mich sehr darüber gefreut, zurück zu sein. Mein Studium ist mir sehr wichtig. Ich bilde mir auch nichts darauf ein, dass ich bei «Homeland» mitgemacht habe.
Du bist also gutschweizerisch bodenständig.
Nein, ich bin realistisch.
Und wenn es jetzt fantastische Rollenangebote hagelt, was dann?
Das sehe ich dann, darauf kann ich mich nicht vorbereiten. Ich kann mich nur maximal engagieren für das, was ist.