In Zollfreilagern lagert Kunst mit einem schwindelerregenden Gesamtwert. Im Gegensatz dazu sind die Kulturgüter des Internetmagazins www.zollfreilager.net allen Interessierten frei zugänglich. Initiant Ruedi Widmer gibt Auskunft über die ersten zwei Jahre der erfolgreichen Nischenpublikation der Plattform Kulturpublizistik und schafft Bezüge zu den namensgebenden Phänomenen.
VON CAROLINE SÜESS
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Caroline Süess: Das Internetmagazin «Das Kulturmigrations-Observatorium Zollfreilager» gibt es seit 2014. Was hat den Ausschlag dazu gegeben?
Ruedi Widmer: Das damals neu gegründete Labor Kulturpublizistik der ZHdK erhielt vom Museum Rietberg die Chance, in einem eigenen Gefäss über Kulturmigration nachzudenken. Hinzu kam die Energie einer Anzahl von Mitstreiterinnen und Mitstreitern und namentlich der Kulturpublizistikstudentin Daniela Bär, die mithalfen, das «Zollfreilager» als etwas Längerfristiges zu denken und zu lancieren.
Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Wir haben seit dem Start dreimal die Möglichkeit erhalten, mit einem Partner zusammen eine Spezialausgabe zu erarbeiten. Die Interviews der mit Damian Christinger und Katharina Flieger kuratierten Reihe «Der Balken in meinem Auge» erscheinen seit Juli 2015 auch im Kulturmagazin «Coucou». Das sind, denke ich, Anzeichen dafür, dass wir als professionelle Nischenpublikation ernst genommen werden.
Wie migriert Kultur?
Ein Beispiel: Ein Artikel des «Zollfreilager»-Wörterbuchs heisst «I wie Inspiration Holzschnitt» und zeigt auf, wie die Kunstgeschichte Japans und die klassische europäische Moderne durch Kulturmigration miteinander verbunden sind.
Was hat das Internetmagazin mit einem Zollfreilager gemeinsam?
Von der Funktion her nicht sehr viel. Es sei denn, man würde die Zollfreilager, in denen Kunst mit einem schwindelerregenden Gesamtwert lagert, für das Publikum öffnen…
Inwiefern ist es von Vorteil, Kulturmigration in einem Zollfreilager zu beobachten?
Man kann viel über sich selber und die eigene Kultur lernen.
Wer sind die Observatorinnen und Observatoren?
Die «Zollfreilager»-Autorinnen- und -Autorenliste zählt achtzig Namen. Die Namensliste reicht von der Primarschülerin Chevonne bis hin zu den Schriftstellern Michel Mettler und Peter Weber, vom Zeichner Ruedi Widmer bis hin zur Künstlerin Tanya Habjouqa.
Welches sind die Güter des Internetmagazins?
Kulturgüter sind, wenn man sie als solche ernst nimmt, Erfahrungsgüter. Das gilt auch für die Inhalte von «Zollfreilager».
Wohin gehen diese Güter nach der Zwischenlagerung im «Zollfreilager»?
Sie werden im besten Fall zu wertvollen Erfahrungen von Leserinnen und Lesern.
Gibt es Kosten, die damit umgangen werden?
Die Auseinandersetzung mit Texten, Bildern und Ideen kostet Aufmerksamkeit, Zeit und Offenheit, sonst nichts.
Warum bietet die Plattform ein Wörterbuch an?
Das «Zollfreilager»-Wörterbuch ist eine Massnahme gegen die Ignoranz des gegenwärtigen Konsumweltbürgertums.
Welchen «Zollfreilager»-Artikel empfiehlst du momentan zur Lektüre?
Den letzten «Balken in meinem Auge» mit Walter Leimgruber, er dreht sich um die Frage, was heute und in Zukunft ein Bürger oder eine Bürgerin ist, muss, darf, soll.
Was erwartet die Leserinnen und Leser demnächst?
In den Sommermonaten 2016 wird man Vorabbeiträge der Publikation «Holy Shit» lesen können. Es handelt sich um den Katalog einer verschollenen Ausstellung rund um Figuren wie Georges Bataille und Aby Warburg von unter anderem Studierenden der Vertiefung Kulturpublizistik des Masters Art Education, die Vernissage ist am 8. Oktober 2016 an der ZHdK.