Interview mit Elena Mendoza und Jorge Sánchez-Chiong
Elena Mendoza und Jorge Sánchez-Chiong werden im Mai unabhängig voneinander beim Studio für zeitgenössische Musik der ZHdK zu Gast sein. So unterschiedlich ihre Werke sein mögen, die beiden Komponisten eint das Wandeln zwischen kulturellen Welten. Im Interview mit JÖRN PETER HIEKEL erörtern sie, warum ein offenes Kulturkonzept für Künstler notwendig ist und was Migration für den künstlerischen Weg bedeutet.
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Die beiden nächsten Gäste des Studios für zeitgenössische Musik sind am 9. Mai und 23. Mai 2016 die 1973 in Sevilla geborene Spanierin Elena Mendoza sowie der 1969 in Caracas, Venezuela, geborene Jorge Sánchez-Chiong. Stilistisch gibt es zwischen ihren kompositorischen Ansätzen zwar bemerkenswerte Unterschiede. So schreibt Mendoza, die seit Langem in Berlin lebt, überwiegend für klassische Besetzungen. Sánchez-Chiong dagegen, der kubanisch-chinesischer Abstammung ist und seinen Hauptwirkungskreis seit Längerem in Wien hat, ist besonders stark im Grenzbereich zu multimedialer Kunst sowie zur Improvisationsmusik aktiv. Doch was beide eint, ist gerade das in ihren biografischen Erfahrungen tief verankerte Wandeln zwischen verschiedenen kulturellen Welten – und zugleich die Fähigkeit, mit den ausserhalb des mitteleuropäischen Raums gemachten künstlerischen Erfahrungen höchst kreativ umzugehen.
Jörn Peter Hiekel: Ihr seid als Komponierende zwischen unterschiedlichen kulturellen Welten unterwegs. Inwieweit beeinflusst das euer Komponieren und könnt ihr Beispiele aus eurem Schaffen und dem anderer nennen, in denen sich das zeigt?
Elena Mendoza: Ich sehe meine Musik tatsächlich als Ergebnis eines Daseins zwischen den Welten. Ich bin in Südspanien aufgewachsen und von der dortigen ästhetischen Sensibilität geprägt. Diese musste ich in Deutschland angesichts der hiesigen Paradigmen infrage stellen. Dadurch bin ich mir überhaupt bewusst geworden, woher ich komme. Meine Herkunft erlaubt mir aber auch, eine kritische Distanz zur deutschen ästhetischen Sichtweise zu wahren, diese als nicht selbstverständlich anzunehmen. Ich glaube, dass mir dieses Hin und Her überhaupt erst ermöglicht hat, einen eigenen künstlerischen Weg zu finden. Es gibt zahlreiche Beispiele des Komponierens zwischen den Kulturen. Einer meiner Lieblingskomponisten ist György Ligeti: Aus dem Clash zwischen ungarischer Musiktradition und deutscher Avantgarde entstand eine einzigartige Komponistenpersönlichkeit.
Jorge Sánchez-Chiong: Im Kulturbetrieb schöpferisch tätig zu sein bedeutet für mich, im ständigen Kontakt mit aktuellen kulturellen Sparten und Geschehnissen zu bleiben, im Idealfall aktiv. Wichtige Bestandteile meiner Arbeit resultieren aus der Auseinandersetzung mit ästhetischen Diskursen anderer Kunstsparten oder Musikarten. Dafür ist es für mich notwendig, ein weitgehend offenes Konzept von Kultur zu verfolgen beziehungsweise dieses immer wieder neu zu definieren. Mitte/Ende der 1990er-Jahre startete ich als Komponist eine intensive Kooperation mit der Wiener Improvisations- und Elektronikszene, bis ich dann selbst Teil dieser Szene wurde. Dafür war es wichtig, Produktions- und Kommunikationstechniken sowie Erwartungshaltungen, die ich mir während meiner Ausbildung angeeignet hatte, hinter mir zu lassen. Verstärkt wurde dies noch durch die Auseinandersetzung mit Performance- und Videokunst sowie mit Noise Music und Club Culture, die mir zeitgemässe und progressive Ansätze offenbarten.
Gibt es heute im Feld der Neuen Musik noch grundlegende Differenzen zwischen der Kultur des Landes, aus dem ihr stammt, und derjenigen des Landes, in dem ihr heute lebt?
Jorge Sánchez-Chiong: Wenn ich mich selbst nicht als Wahlwiener betrachtete, könnte ich behaupten, dass ich im kulturellen Asyl lebe: Für die Musik, die ich machen will, gibt es leider weder Raum noch Verständnis in meinem Heimatland Venezuela. Im ersten Jahrzehnt, nachdem ich als 18-Jähriger nach Europa gekommen war, kehrte ich mindestens einmal jährlich nach Caracas zurück und hielt Vorträge und Workshops, gab Konzerte. Seit die linksrevolutionäre Partei am Ruder ist, bin ich aber nur noch zweimal dort gewesen, insgesamt knappe fünf Wochen innerhalb der letzten 17 Jahre. Das massive Scheitern der bolivarischen Revolution von Hugo Chávez ist für mich als politisch links stehenden Lateinamerikaner ein Trauerspiel. Ohne freies Denken, ohne Kritik, ohne politische Auseinandersetzung gibt es keine Hoffnung auf eine blühende und zeitgemässe Kulturentwicklung.
Elena Mendoza: Auf jeden Fall. Die ästhetische Wahrnehmung ist kulturell. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass meine Musik in Deutschland, Spanien, Österreich, Frankreich oder in der Schweiz unterschiedlich rezipiert wird. Das Augenmerk liegt in Frankreich beispielsweise viel stärker auf klanglichen Aspekten, während in Deutschland der konzeptuelle Rahmen eines Stücks eine grössere Rolle spielt.
Mit welchen Erwartungen geht ihr an eine Veranstaltung, in deren Rahmen eure Musik an einer Hochschule vorgestellt wird?
Elena Mendoza: Ich liebe den Austausch und lasse mich gerne überraschen, was dabei herauskommt!
Jorge Sánchez-Chiong: Die Erwartungen sind begründeterweise hoch – eine meiner schönsten und interessantesten Lehrerfahrungen hatte ich an der ZHdK, als ich letztes Jahr Germán Toro-Pérez im Hauptfach Elektroakustische Komposition für ein Semester vertrat.
9.–11. Mai 2016
Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Eintritt frei
Atelier zeitgenössische Musik: Elena Mendoza
22.–23. Mai 2016
Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Eintritt frei