Design als Mittel, die Welt zu verändern – dieser Ansatz hat eine lange Tradition und eine relativ junge Ausprägung, den Designaktivismus. Designaktivistinnen und -aktivisten wollen gesellschaftliche Entwicklungen mitprägen oder gar initiieren. Sie gehören damit zu jenen Menschen, die sich nicht auf die Mechanismen der Politik verlassen, sondern sich mit ihren professionellen Kompetenzen engagieren. Was dies bedeuten kann, erklären drei ZHdK-Designerinnen.
VON ANDREA ROCA
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Plakat Symposium «Take Action! Contemporary
Design Activism» 2016. Design: Mirabella-Morganti, © ZHdK
Das Jahr 2016 ist geprägt von gesellschaftlichen Umwälzungen und Bewegungen. Grosse Themen beschäftigen Europa, Völkerwanderung und Populismus prägen das Denken und Handeln. In Zeiten, in denen in der Politik vor allem Machtkämpfe ausgetragen werden, ist die Bevölkerung aufgerufen, Position zu beziehen. Sie wird in die Verantwortung genommen und eine Haltung wird provoziert.
Unter diesen Voraussetzungen werden die Handlungsspielräume des Designers, der Designerin neu verhandelt. Seit der Arts-and-Crafts-Bewegung des 19. Jahrhunderts bis hin zum Studio Alchimia der 1970er-Jahre haben sich Designerinnen und Designer an gesellschaftspolitischen Fragestellungen gerieben. Auch die heutige Generation steht in der Verantwortung, sich durch und mit Design in soziopolitische Prozesse einzumischen. Die Einmischung ist ein notwendiger Habitus, um als Disziplin die künftige Gesellschaft lokal und global aktiv mitzugestalten. Aber wie kann sich das Designfeld mit spezifischen Kompetenzen der aktuellen Entwicklungen enthusiastisch und lösungsorientiert annehmen? Antworten dreier Akteurinnen aus dem Departement Design.

Mariella Ingrassia, «Nomansland», 2015, Messingarmbänder (siehe «Unterstützen» unten). Foto: Derya Cukadar, © ZHdK
Mariella Ingrassia, Studentin Bachelor Design/Style & Design, Autorin von «Nomansland» und Aktivistin bei Bass for Benefiz.
Andrea Roca: Was war der Schlüsselmoment, der dich von der Beobachterin zur Akteurin gemacht hat?
Mariella Ingrassia: Ich wollte mir ein eigenes Bild des aktuellen sogenannten Flüchtlingsstroms machen, den viele Medien als Bedrohung darstellen. Denn je unwissender wir sind, desto unsicherer begegnen wir Krisen. Eins war klar: Dies ist eine langfristige Veränderung, auf die ich aktiv reagieren und in der ich mich engagieren will.
Wie ist «Nomansland» entstanden?
Ich ging mit «Kinder auf der Flucht» ins Flüchtlingslager Sentilj, um Hilfsgüter zu verteilen. Im Niemandsland stiess ich auf ein Gebäude, auf dessen Fassade Flüchtlinge Nachrichten in Arabisch hinterlassen hatten. Diese Botschaften haben mich derart berührt, dass ich sie auf Deutsch übersetzen liess. Sie übermitteln Hoffnung, Verlust und Dankbarkeit von Menschen auf der Reise in eine ungewisse Zukunft. Im Style & Design-Modul «Trigger to Style Up» gravierte ich die Botschaften in den Originalhandschriften auf Messingarmbänder. Mit den Armbändern möchte ich Empathie wecken in jenen, die verunsichert sind und Angst vor dem Fremden haben. Ich gebe den Flüchtenden eine Stimme und eine Geschichte.
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Gülsha Adilji, Baki Cavdar, Henriette-Friederike Herm, Andrea Roca, «L’objet qui rappelle», 2016, Rettungsweste aus Lesbos (siehe «Unterstützen» unten). Foto: Andrea Roca, © ZHdK
Henriette-Friederike Herm, Unterrichtsassistentin Bachelor Design/Style & Design, hat ihre Master-Arbeit zum Thema Migration/Immigration 2014 abgeschlossen und ist in der Arbeitsgruppe Performing Activism und im Aktionsforum an der ZHdK aktiv.
Andrea Roca: Wie verknüpfst du deine Designpraxis mit Aktivismus?
Henriette-Friederike Herm: Gestaltung ist für mich eine Sprache, deren ich mich bediene, um zum einen zu reflektieren und einen Zustand auszudrücken, zum anderen nach aussen hin zu vermitteln, zu sensibilisieren, Fragen aufzuwerfen und auf Ereignisse in meiner Umwelt zu reagieren. Sozial, politisch und gesellschaftlich brisante Themen und Ereignisse fliessen in die Designpraxis ein. Wie stark und mit welchen Strategien, Provokationen und in welcher Form, ist natürlich abhängig vom Kontext, von der persönlichen Betroffenheit und Dringlichkeit. So gesehen, ist mein Drang, zu handeln und aktiv zu sein, diskontinuierlich und punktuell.
Wo siehst du in deinem Feld spezielle Kompetenzen, die sich mit sozialem Engagement verbinden lassen?
Kreative Lösungsansätze und Transformationen, die mit spezifischen Designstrategien entwickelt werden, sind eine spezielle Kompetenz, die dem Beruf der Designerin inhärent ist.
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Corina Zuberbühler, Leiterin Bachelor Design, Designerin und Mitinitiantin des Symposiums «Take Action! Contemporary Design Activism», das im März 2016 an der ZHdK stattgefunden hat.
Andrea Roca: Was verstehst du unter Social Design?
Corina Zuberbühler: Im klassischen Verständnis gestalten Designerinnen und Designer Objekte, Informationen, Wissen, Systeme und Services. Unter Social Design verstehe ich die Gestaltung von Beziehungen, von sozialen und kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten sowie der Umwelt. Social Design behandelt für mich nicht nur dem Wortsinn nach soziale Aspekte. Denkt man an die Welt im Anthropozän, vereint der Begriff sowohl die soziale als auch die ökonomische und die ökologische Ebene – heute alle stark durch den Menschen geprägt.
Warum ist das Thema Aktivismus für die Designlehre wichtig?
Wenn herkömmliche Systeme nicht mehr funktionieren und bewährte Lösungsansätze nicht greifen, sind neue Denkansätze gefragt. Als Designaktivistinnen dienen wir nicht absehbaren und etablierten Bedürfnissen der Gesellschaft mit Lösungen zu, sondern beziehen visionär oder auch provokativ Position. Designaktivistinnen haben den Anspruch, künftige gesellschaftliche Entwicklungen mitzuprägen oder gar zu initiieren.
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«L’objet qui rappelle»
Die Rettungsweste aus Lesbos wurde von einem anonymen Menschen getragen, der über die Mittelmeerroute nach Europa geflüchtet ist. Aus der Weste werden Stücke als Mahnmal herausgeschnitten. Karten mit einem Stück Weste können zugunsten von Menschen auf der Flucht gegen Spendengelder getauscht werden.
«Nomansland»
Die Messingarmbänder können zugunsten von Menschen auf der Flucht gegen Spendengelder getauscht werden.