Gegenwartskunst in China
Am 13. April 2016 startet der erste Massive Open Online Course (MOOC) der Zürcher Hochschule der Künste auf der E-Learning-Plattform iversity.com. Der Kurs «Chinese Contemporary Art Award – A Case Study on Global Culture» beleuchtet das Thema «Globale Kultur» anhand der Entwicklung der chinesischen Gegenwartskunst. Michael Schindhelm, Leiter des englischsprachigen Angebots, gibt Einblick in die Inhalte und erklärt, weshalb sich China als spannendes Beispiel eignet.
VON ANDREA ZELLER
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Andrea Zeller: Was lernt man im Onlinekurs «Chinese Contemporary Art Award – A Case Study on Global Culture»?
Michael Schindhelm: Der Kurs bietet einen wahrscheinlich einzigartigen Überblick über die Entwicklungen in der chinesischen Gegenwartskunst seit ihrer Entstehung in den Siebzigerjahren. Grundlage ist der Zugang zur Sammlung des Schweizer Unternehmers, Kunstsammlers und Mäzens Uli Sigg, dem es seit den Neunzigerjahren gelungen ist, die weltweit bedeutendste Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst zusammenzubringen. Siggs Erfahrungen und seine Begegnungen mit über tausend Kunstschaffenden machen ihn zu einem einzigartigen Kenner der Szene. Viele von ihnen verdanken ihm ihre internationale Anerkennung. Ai Weiwei hat mir über Sigg einmal gesagt: «No matter how famous I will become, he is my maker.»
Der Kurs ist das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern des Institute for Contemporary Art Research der ZHdK, mit internationalen Kuratoren wie Pi Li, Li Zhenhua und Lars Nittve und schliesslich mit Uli Sigg und der Kuratorin Kathleen Bühler vom Kunstmuseum Bern.
Wieso dient der «Chinese Contemporary Art Award» als Fallstudie?
Der Award – kurz auch CCAA genannt – wurde 1998 von Uli Sigg gegründet. Sein Ziel war, dadurch Einblick in die chinesische Kunstszene zu erhalten. Damals gab es keine Galerien und Medienberichterstattung, sowie keinen Markt für Gegenwartskunst in China. Mit der Ausrufung des Preises meldeten sich immer mehr Künstlerinnen und Künstler bei Uli Sigg. So hat er sich exklusive Informationen über ihre Arbeit und Ausrichtung beschaffen können. Er baute sich ein weitverzweigtes Netzwerk auf, dem auch internationale Museen, Biennalen und Kuratorinnen und Kuratoren angehören.
Durch diese Relevanz bietet der CCAA im Kurs einen breiten Einblick in die kurze Geschichte der Gegenwartskunst Chinas. Dies ist sicher nicht die einzige Lesart der Geschichte, aber zweifelsohne eine besonders signifikante.
Inwiefern lässt die Entwicklung der Gegenwartskunst in China Rückschlüsse auf globale Kultur zu?
Globale Kultur ist Kultur, die sich von lokalen Gegebenheiten, Traditionen und Techniken gelöst hat und somit die Voraussetzungen erfüllt, um weltweite Rezeption zu finden. Das heisst nicht, dass die Inhalte, Formen, Techniken und Botschaften globaler Kunst überall gleich verstanden werden. Sie werden einfach an verschiedenen Orten als relevant und interessant betrachtet.
Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass westliche Kunst globale Kunst ist. Von afrikanischer oder islamischer Kunst beispielsweise würden wir das nicht ohne Weiteres behaupten. Aufgrund ihrer Ausdrucksformen, Geschichte, Themen und Positionen ist auch die chinesische Kunst zunächst als ein nationales oder regionales Phänomen verstanden worden. Nach drei Jahrzehnten der Entwicklung beobachten wir jetzt eine Transformation. Eine neue Generation von Kunstschaffenden einerseits und ein in chinesischer Kunst besser geschultes internationales Publikum andererseits beginnen, diese Kunst als Teil der globalen Kunst zu betrachten. Das Paradigmatische an diesem Fall ist, dass im Zuge der Globalisierung die Welt der Kunst immer weniger national sondern global orientiert ist, und nun China auch diesen Weg einschlägt.
Eignet sich der Kurs auch für Personen, die sich für internationale Gegenwartskunst interessieren, jedoch nicht speziell für solche aus China?
Wer sich für die Erweiterung der Kunstszene über die einschlägigen Kunstdomänen hinaus interessiert, sollte sich auch dafür interessieren, was in China passiert. Wir können uns die Weltwirtschaft und -politik nicht mehr ohne das Reich der Mitte vorstellen. Es lohnt sich daher auch, chinesische Kunst zu studieren, wenn man besser verstehen will, was international passiert.
Sie leiten das Angebot. Was ist Ihr Bezug zu China und zur chinesischen Gegenwartskunst?
Ich war in den letzten fünfzehn Jahren verschiedentlich beruflich in China tätig. Dabei habe ich mit chinesischen Künstlern und Künstlerinnen wie Ai Weiwei, Feng Mengbo, Zhao Bandi oder Cai Fei zusammengearbeitet. Während sich der westliche Diskurs bis vor kurzem immer mehr um sich selbst zu drehen schien, habe ich in China das Gefühl, dass es um existentielle Dinge geht. Quer durch die Generationen spürt man eine fast altmodische Position des Künstlers, der die Gesellschaft verändern kann. Das ist mir, der ich die ersten dreissig Jahre meines Lebens in der DDR und der Sowjetunion gelebt habe, vertraut und nahe.
Zugleich bin ich kein Kurator, sondern ein neugieriger Amateur. Es geht mir darum, Dinge zu ermöglichen und Menschen zusammenzubringen. So sehe ich auch meine Rolle in diesem Kurs, der ohne das tolle Engagement von Elisabeth Danuser, der Leiterin Zentrum Weiterbildung der ZHdK, und Renato Soldenhoff, dem E-Learning-Verantwortlichen der Hochschule, sowie den Leuten aus der Studienvertiefung Cast / Audiovisuelle Medien und unseren externen Partnern nicht möglich geworden wäre.