Ausbildung am Berg

Steile Stellen gehören zu jedem Lernweg. Foto: © Arion SchulerStürmische Verhältnisse lassen sich in der Gruppe besser bewältigen. Foto: © Arion SchulerGute Ausrüstung bewährt sich. Foto: © Arion SchulerKonstruktives Wissen hilft auch beim Iglubau. Foto: Michael Kennedy © ZHdKDesignklassiker im Spiel. Foto: Michael Kennedy © ZHdKGruppenbild nach vier Hüttentagen. Bild: © Arion SchulerAuch ohne schnelles Internet hat sich die Leglerhütte als Atelier- und Seminarraum bewährt. Bild: Felix SpuhlerSchneetee. Dass Wasser eine wertvolle Ressource ist, zeigt sich, sobald es nicht einfach aus dem Hahn kommt. Bild: Nicole Kind © ZHdKEntwerfen ohne digitale Werkzeuge. Bild: Roman Jurt © ZHdK

Ausbildung am Berg

46 Industrial-Design-Studierende, 4 Mittelbauleute, 3 Dozierende, 1 Hüttenwart mit 2 Helferinnen, 1 Bergführer, 4 Tage, 3 Nächte, 120 Zentimeter Neuschnee, −7 °C Aussentemperatur, viel Wind und 16 Workshops zu Kernfragen der Produktgestaltung: Skizze und Konzeption, Formfindung, Vergleich von Konstruktionsprinzipien, Usability Testing, Ergonomie, Modell- und Prototypenbau, Nachdenken über Konsum, den Wert der Dinge und die grossen Designklassiker. Statements zum Lernen ausserhalb des Campus, gesammelt von FRANZISKA NYFFENEGGER.
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Roland Eberle, Dozent
Traditionsgemäss schliesst die Vertiefung Industrial Design das Wintersemester mit einer jahrgangsübergreifenden Blockwoche ab. Im letzten Jahr haben wir unter dem Titel «Die Rampensau» ein Architekturmerkmal des Toni-Areals bespielt und dafür Rennfahrzeuge konstruiert. Dieses Jahr standen die Grundwerte des Entwerfens im Zentrum: weit weg von den vertrauten Ateliers und ohne die gewohnten technischen Mittel, mit Schnee, Holz, Bleistift, Sackmesser und dem, was unsere Köpfe hergeben, wenn sie offline sind. Als Dozent schätze ich es, unterschiedliche Ansätze der Vermittlung ausprobieren zu können, die über den gewohnten Lernalltag hinausgehen.

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Christa Tresch, Studentin im 5. Semester
Wie ein Kippschalter holt mich der Auftakt dieser Woche aus dem Alltag: Für einmal steige ich nicht die Kaskade hoch, sondern überwinde 600 Höhenmeter, vor und hinter mir vom Schneegestöber eingepulverte Gesichter, eine sich langsam, aber stetig aufwärtsbewegende Karawane. Später dann kreisen meine Gedanken nicht um das unkooperative CAD-Programm oder das nicht auftauchende Uniflow-Pop-up-Fenster, sondern um die Frage, wie meine Schuhe bis zum nächsten Workshop im Schnee wohl trocken werden, welche Strategie sich am besten eignet, um sich ohne fliessendes Wasser die Zähne zu putzen*, woher nur all der Abfall kommt, den ich wieder werde runtertragen müssen, und was ich bloss tun könnte, damit er weniger wird. Nach vier Tagen kommt mir der Abstieg viel zu kurz vor. Viel zu schnell lassen wir den Neuschnee und die endlich strahlende Sonne hinter uns und sind wieder … im Alltag.

* Mein Tipp: Griff aus dem Fenster, Schnee in die Hand, Geschmolzenes zum Spülen brauchen, mit dem Rest den Bürstenkopf reinigen.

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Bamna Dadashzadeh, Studentin im 1. Semester
Es gibt Dinge, die lernt man nicht im Toni. Etwa dass die Anwesenheit geduldiger Mitreisender die beste Medizin ist gegen Höhenangst. Oder welch gesunde Bescheidenheit die imposante Bergwelt in einem hervorruft. Und was für eine grossartige Sache eine Dusche ist. Am meisten gelernt habe ich von unserem Verhalten als Gruppe, als Gesellschaft. In der Leglerhütte, in der Platz und Wasser Mangelware sind, steht das Kollektiv klar über dem Individuum. Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Vertrauenswürdigkeit sind keine Fragen des Charakters mehr, sondern werden selbstverständlich. Der Perspektivenwechsel bringt das Essenzielle an den Tag, und da, so denke ich, sind wir ganz nah an der Kernaufgabe von Design.

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Laurin Schaffner, Student im 3. Semester
Frische Socken und Unterwäsche, Mütze und Handschuhe, Taschenlampe und Sonnenbrille … und einen Luxusgegenstand solle man mitnehmen, stand auf der Packliste. An einem Ort ohne Steckdose das Mobiltelefon mit Strom versorgen zu können, das ist Luxus, dachte ich mir, und packte ein Solaraufladegerät ein. Dass es schon im Unterland zickte und nicht richtig funktionieren wollte, hinderte mich nicht daran. Doppelter Luxus: ein Gerät, das sich auf dieser Welt nur wenige leisten können, kaputt auf den Berg zu tragen. Im Workshop zu Wert und Stellenwert von materieller Kultur tat das Ding auf jeden Fall auch so seinen Dienst. Und kaum zurück, funktioniert es wieder tadellos. Zufall oder doch Höhenangst?

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Tiina Pärtel, Austauschstudentin im 5. Semester
In Estland, wo ich herkomme, liegt der höchste Berg 300 Meter über Meer, also 100 Meter unter dem Wasserspiegel des Zürichsees. Das Abenteuer Glarner Alpen begann für mich schon beim Packen: Schneeschuhe und Lawinensuchgerät waren mir unbekannt und lösten gemischte Gefühle aus. Meine Sorgen erwiesen sich aber als unnötig. Alles kam mir vor wie ein grosses Postkartenbild. Am Schluss habe ich sogar auf Schweizerdeutsch geträumt. Und ich weiss jetzt, wie man ein Iglu baut.

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Nils Loos, Student im 5. Semester
Als erfahrener Tourenskifahrer war ich während der Tage vor unserer Abreise nicht sicher, ob das klappen würde mit dem Jahresworkshop auf dem Berg. Eine unsichere Lawinensituation, wenig Schnee, viel zu warme Temperaturen. Die Schneeschuhe mussten wir dann doch nicht zur Hütte tragen, und auch den Bergführer konnten wir brauchen – nicht zuletzt weil er dafür gesorgt hatte, dass nach einem steilen Aufstieg in Sturm und Nebel kurz vor Ankunft der Nebel aufriss und eine strahlende Sonne uns begrüsste.

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Julian Frey, Student im 3. Semester
Dass unser Kartenspiel «Designhandel» ein solcher Erfolg werden würde, hatten wir uns nicht gedacht. Wir entwarfen es im Workshop Game Design und verwendeten viel Zeit auf die Entwicklung des Spielprinzips. Strategie, Verhandlungstalent, Glück und auch ein bisschen Designwissen braucht es, um zu gewinnen. Damit das funktioniert, mussten wir verschiedenste Szenarien erproben und unterschiedliche Spielverläufe testen. Gestalterisch konnten wir die Karten in der kurzen Zeit nicht optimal umsetzen, doch die Spielregeln überzeugten: Einige konnten das «Designhandeln» kaum mehr lassen, alle wollten mitspielen. Zentral im Design ist die Idee, nicht das Styling – das hat sich hier einmal mehr in aller Deutlichkeit gezeigt.

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Franziska Nyffenegger (franziska.nyffeneger@zhdk.ch), Ethnologin und Dozentin in den Departementen Design und Kulturanalyse & Vermittlung, mag es gerne anders, auch im Unterricht. Sind alle Berghütten ausgebucht, finden ihre Seminare auf der Dachterrasse im Toni-Campus statt.
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