Jasper Morrison gestaltet ohne Pathos und Klimbim

Gutes Design ist «supernormal». Mit diesem Ansatz hat der Engländer Jasper Morrison ein neues Designverständnis geprägt. Anhand von selbst entworfenen Alltagsgegenständen und Klassikern aus den Sammlungen des Museum für Gestaltung gibt er Einblick in sein Denken. Ausgewählte Zitate zusammengestellt von LEONA VERONESI.
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Die Form tritt beim weltweit gefeierten Designer in den Hintergrund. Historischer Bezug, Produktions- und Materialgerechtigkeit und vor allem der Beitrag zur Atmosphäre eines Raumes sind die relevanten Werte in seiner Arbeit. Die erste Retrospektive über Jasper Morrison ist ein Plädoyer für eine Gestaltung jenseits von Pathos, Klimbim, überzogenem Formwille oder programmatischer Askese. Sie kombiniert seine wegweisenden Entwürfe für internationale Firmen mit den Entwicklungsgeschichten hinter den Werken. Darüber hinaus wählt Jasper Morrison für den Ausstellungsteil «MyCollection» Objekte aus den Sammlungen des Museums aus und erläutert, welcher Aspekt ihn am jeweiligen Ding fasziniert.

Sperrholzstuhl, Vitra, 1988

«Der Hauptgrund für das Aussehen des Sperrholzstuhls ist, dass ich ihn selbst bauen musste und nur eine elektrische Stichsäge sowie einige ‹Schiffsbögen› zur Verfügung hatte. Daraus entstand das Projekt, Formen aus einer Sperrholzplatte auszuschneiden und diese zu etwas Dreidimensionalem zusammenzufügen. Indem ich eine dünne Sperrholzplatte als Sitzfläche benutzte und geschwungene Querstangen darunter anbrachte, erzielte ich einen Federungseffekt, der manch andere Unbequemlichkeit des Stuhls auszugleichen vermochte. Danach baute ich noch ein Modell mit ausgefüllter Rückenlehne, das zwar bequemer, dafür aber weniger spannend war.»

Three Green Bottles, Cappellini, 1988

«Ursprünglich hatte ich vorgehabt, drei mundgeblasene Flaschen zu gestalten, aber da es zu jener Zeit keine Glasbläser in Berlin gab, war die einzige Möglichkeit für mich, normale Weinflaschen zu nehmen und sie abändern zu lassen, was letztlich viel interessanter war. Es schien mir zu sagen: ‹Schau, wie schön eine ganz normale Flasche ist – viel besser als Dinge, die ‹designt› sind.›»

Luxmaster, Flos, 2000

«Die Einweisung Piero Gandinis von Flos war, einen neuartigen, verstellbaren Deckenfluter zu entwerfen, eine Lampenart, die durch Joe Colombo in den 70er-Jahren berühmt geworden war und aufgrund mangelnder Nachfrage kaum noch hergestellt wurde. Das erste Problem, an dem wir arbeiteten, war die Frage, wohin das Kabel verschwinden soll, wenn die Lampe verstellt wird. Ein erster Vorschlag von Flos war, einen automatischen Aufrollmechanismus ähnlich dem des Staubsaugers zu verwenden, aber mir gefiel die Idee nicht, den Mechanismus am Fuss anzubringen. Nach einigem Nachdenken schlug ich vor, mit einem Spiralkabel wie bei alten Telefonen zu arbeiten. Flos fand ein Kabel, das seine Elastizität auch nach längerer Zeit nicht verlieren würde, und wir gingen zum Design des Lampenkopfes über, den wir ursprünglich als Aluminiumgehäuse mit einem Scheinwerfer geplant hatten. Flos wollte etwas Leistungsstärkeres und schlug einen Scheinwerfer in einem Plastikgehäuse vor, der das Licht rundum verteilen und somit für eine bessere Lichtqualität im ganzen Raum sorgen würde. Kaum war das Basismodell fertig, nutzten wir das Design für eine Wand- und eine Deckenlampe und machten einen Vorschlag für ein Deckenmodell an einem Anker. Mir hatte die zentrale Position der meisten Deckenleuchten noch nie gefallen, und der Gedanke, das Problem mithilfe eines rotierenden Ankers zu lösen, schien mir reizvoll. Dadurch wird die Raumbeleuchtung beliebig regulierbar und deutlich interessanter.»

Cork Family, Vitra, 2004

«Ich fuhr einmal durch einen Korkeichenwald südlich von Sevilla, und seit dieser Zeit wollte ich unbedingt mit diesem bemerkenswerten wasser-, fäulnis- und sogar termitenbeständigen Material arbeiten. Die Korkfamilie entstand aus einem früheren Projekt für Moooi und ich verwertete dafür Korkgranulat aus Abfallmaterial der Korkindustrie. Ich stelle sie mir als kleine Seitentischchen neben niedrigen Stühlen vor, aber es scheint, dass sie meist für Hocker gehalten werden.»

Türdrücker 1144, FSB, 1990

«Die Türklinke stellte einen grossen Schritt für mich dar, zum einen weil sie in Serie gefertigt werden sollte, zum anderen weil ich durch sie eine neue Arbeitsweise entdeckte. In jeder Hinsicht eine wichtige Entwicklung. Ich war überzeugt, dass die Aufgabe des Designers nicht darin besteht, Form zu erfinden, sondern darin, sie am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und aus den richtigen Gründen einzusetzen. Im Katalog einer Firma im Londoner East End namens W. H. Clark Ltd., die mit Ersatzteilen für Nutzfahrzeuge handelte, fand ich eines Tages die Anleitung für eine Türklinke in einer Form, die als Kutschenklinke beschrieben wurde. Ich verfolgte diese Entdeckung weiter, indem ich die Form einer Glühbirne für den Türgriff und eine Flügelmutter für das Türschloss verwendete. Dieser Versuch, nichts zu erfinden und trotzdem offen für äussere Einflüsse zu sein, ähnelte der Idee, Objekte neuen Verwendungszwecken anzupassen; aber die Sache war anspruchsvoller, und es schien mir gewissermassen effizienter, Form zu recyceln als sie neu zu erfinden.»

Thinking Man’s Chair, Cappellini, 1986

MfG_Jasper-Morrison_6«Nachdem ich vor einem Geschäft einen antiken Stuhl ohne Sitzfläche gesehen hatte, beschäftigte mich für eine lange Zeit die Idee, einen Stuhl nur aus Bauelementen zu konstruieren. Viele Entwürfe später war ich bei einer Annäherung an die endgültige Gestalt angelangt, die auch zwei kleine Tische an den Enden der Armlehnen sowie eine exotisch anmutende Metallkonstruktion beinhaltete. ‹Drinking Man’s Chair› sollte sein Name lauten. Auf dem Rückweg von einem Tabakladen, in dem ich ein Päckchen Pfeifenputzer gekauft hatte, um daraus ein Modell des Stuhls zu bauen, fiel mir der Slogan ‹Rauchgenuss des denkenden Mannes› auf dem Päckchen auf, den ich sogleich abwandelte, um zu meinem nun deutlich kultivierter klingenden Namen zu kommen. Als ich später den Prototyp vor mir hatte, der an eine Show nach Japan transportiert werden sollte, fügte ich die Masse als eine Art Dekorationsersatz hinzu. Der Stuhl wurde in der Folge in Zeev Arams Ausstellungsraum in London ausgestellt und verkauft. Giulio Cappellini sah ihn dort und kontaktierte mich, weil er ihn produzieren wollte. So fing meine Zusammenarbeit mit Cappellini an. Er und Sheridan Coakley in London waren die ersten Hersteller, die Interesse an meiner Arbeit zeigten.»

Jasper Morrison (1959, London) studierte am Kingston Polytechnic und am Royal College of Art in London. 1984 war er Stipendiat an der Universität der Künste in Berlin. 1986 eröffnete Jasper Morrison sein erstes Studio in England. Heute führt er neben einem Büro in London – in das auch sein berühmter Shop integriert ist – weitere Büros in Paris und Tokio. Er arbeitet für international bekannte Firmen wie Alessi, Alias, Cappellini, Flaminia, Flos, Kettal, Magis, Marsotto, Maruni, Muji und Vitra. Des Weiteren gehören Elektronikfirmen wie Samsung oder Punkt ebenso zu seinen Kunden wie das Textilunternehmen Maharam, der Schuhproduzent Camper oder die Stadt Hannover, für die er eine neue Strassenbahn und die dazugehörigen Haltestellen entworfen hat.

«Jasper Morrison – Thingness»
12. Februar bis 5. Juni 2016
Museum für Gestaltung – Schaudepot Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Dienstag–Sonntag 10–17 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr
www.museum-gestaltung.ch

Siehe auch Artikel «Form ist unwichtig».
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