Die ZHdK hat in Kooperation mit Partnerhochschulen einen Vorschlag für eine International Graduate School of Design in der südchinesischen Stadt Shenzhen ausgearbeitet. Das Projekt nimmt allmählich Gestalt an.

VON MICHAEL KROHN
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Seit mehr als drei Jahren beteiligt sich die ZHdK federführend an einem Projekt zur Entwicklung einer Designhochschule in Shenzhen, einer der am schnellsten wachsenden Boomstädte in der chinesischen Provinz Guangdong und die erste chinesische Unesco-Designstadt. Seit der Kanton Zürich im April 2014 eine Zusammenarbeit mit dieser Provinz beschlossen und dafür einen Schwerpunkt Bildung definiert hat, bettet sich das Vorhaben auch in eine politische Strategie ein. Der Fachhochschulrat hat das Vorhaben genehmigt, und mittlerweile hat auch die Stadtregierung von Shenzhen grünes Licht für das Projekt gegeben.

China im Umbruch
China befindet sich in einem permanenten gesellschaftlichen Umbruch, und dies schon seit längerer Zeit. Das Land entwickelt sich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts von einer Agrargesellschaft zu einer Produktionsgesellschaft und möchte in einem nächsten Schritt zur Dienstleistungs- und Kreativgesellschaft werden. China will und kann nicht weiter nur der Produktionsplatz der Welt sein, die damit verbundenen ökologischen und ökonomischen Folgen wären zu dras­tisch und in ihren Konsequenzen potenziell schwerwiegend, auch für Europa.

Das Wachstum von Shenzhen soll sich in Zukunft weg von der Quantität und hin zur ­Qualität entwickeln.

Da ist es verständlich, dass die Nation, die im Übrigen selbst in ruralen Gebieten über breite und verhältnismässig gute Bildungseinrichtungen verfügt, in der Reihe jener Gesellschaften stehen möchte, die hochstehende Leistungen erbringen und nicht nur Reservoirs für billige Arbeitskräfte sind.

Verbesserung von Qualitäts- und Lebensstandards
Chinesinnen und Chinesen, insbesondere die Regierung, aber auch die Unternehmen, begreifen, dass Kreativität und Innovation der Schlüssel zu einer erfolgreichen eigenständigen und unabhängigen Wirtschaftsleistung und damit auch zu nachhaltigem Wachstum sind. Chinesische Eltern wollen ihre Kinder an anderen Orten arbeiten sehen als in Produktionsbetrieben mit Minimallöhnen.

ZHdK-Rektor Thomas D. Meier unterzeichnet die Kooperationsvereinbarung zusammen mit Wu Yihuan, Vizestadtpräsidentin von Shenzhen, Ding Xuemei, Vizepräsidentin des Harbin Institute of Technology, und Areti Markopoulou, Direktorin des Institute for Advanced Architecture of Catalonia (von links). Foto: ZHdK

ZHdK-Rektor Thomas D. Meier unterzeichnet die Kooperationsvereinbarung zusammen mit Wu Yihuan, Vizestadtpräsidentin von Shenzhen, Ding Xuemei, Vizepräsidentin des Harbin Institute of Technology, und Areti Markopoulou, Direktorin des Institute for Advanced Architecture of Catalonia (von links). Foto: ZHdK

Vorbild sind auch hier Gesellschaften mit vergleichsweise hohem Lebensstandard. Erste Versuche, eine eigenständige und international konkurrenzfähige Waren- und Servicekultur in China zu etablieren, beschränkten sich grossteils auf das Kopieren westlicher Produkte oder brachten teils obskure chinesische Eigenmarken hervor. Inzwischen treten chinesische Anbieter aber immer öfter prominent auf den globalen Märkten auf, und dies mit einem hohen Qualitätsstandard.

Auf dem Weg von Quantität zu Qualität
Shenzhen liegt im Pearl River Delta in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hong Kong. Heute ist Shenzhen eine moderne Metropole mit 18 Millionen Einwohnern, die ähnlich schnell wächst wie Shanghai. Shenzhen ist zudem die Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in China. Sie liegt in einer wirtschaftlichen Sonderzone, bekannt für die hohe Dichte an Produktionsbetrieben vor allem in der Elektronik- und Telekommunikationsindustrie. Das Wachstum von Shenzhen soll sich in Zukunft weg von der Quantität und hin zur Qualität entwickeln. Will heissen: Weniger produzieren – mehr erfinden, kreieren und entwickeln.

Eine lebendige Kreativbranche mit findigen Designern und Mediaproduzentinnen passt da sehr gut ins Bild. Shenzhen hat als erst dreissig Jahre junge Stadt einen wachsenden Bedarf an Bildungsinstitutionen und will die Ausbildungsangebote auch in den Bereichen Design und Architektur vergrössern. Bis im Jahr 2025 will die Stadt nun eine International Graduate School of Design aufbauen und finanzieren. Die drei Partner ZHdK, Institute for Advanced Architecture of Catalonia (IAAC) und Harbin Institute of Technology Shenzhen (HIT Shenzhen) sollen diese Hochschule gemeinsam entwickeln und deren Qualität auf lange Sicht sichern.

Langjährige Erfahrung mit China
Unter der Regie der ZHdK wurde in einer Kooperation mit IAAC und dem HIT Shenzhen ein Vorschlag für den Aufbau einer den chinesischen Verhältnissen angepassten Design- und Architekturhochschule entwickelt. Dieser wurde der Stadt Shenzhen im Sommer 2014 unterbreitet. Dabei kam der ZHdK einmal mehr die langjährige Erfahrung im Austausch mit China zugute. China denkt, designt und baut anders. Für diese komplexe Situation wäre es zu kurz gedacht, einfach hiesige Ausbildungskonzepte zu kopieren und zu exportieren.

Ein Austausch von Dozieren­den und Studierenden mit der ZHdK ist Teil des akademischen Konzepts.

Shenzhen verlangt in mehreren Dimensionen eine Anpassung europäischer Bildungspraxen an die lokale Gesellschaft, Wirtschaft und natürlich auch an die Gewohnheiten und Bedürfnisse der künftigen Studierenden. Die Zahl der Auszubildenden wird in dieser ausschliesslich postgradualen Ausbildung auf Master- und PhD-Stufe wesentlich grösser sein als in der Schweiz üblich. Der Umgang mit der sich von der hiesigen deutlich unterscheidenden Lehr- und Lernkultur sowie der andere Zugang zu Forschungsfragen werden zusätzliche Herausforderungen darstellen. Ausbildungsziel bleibt aber das selbstverantwortliche Arbeiten an komplexen Projekten.

Projekt mit Perspektiven für die ZHdK
Die Designhochschule soll Studienangebote für rund 1200 Master-Studierende und Doktorierende anbieten – mit Schwerpunkten in den Bereichen Architektur, Infrastrukturen und Stadtentwicklung, Produkte, Räume und Stadtkulturen sowie Identität, Kommunikation und Medien. ZHdK und IAAC sind unter anderem zuständig für das akademische Konzept und die Entwicklung des Curriculums sowie für die Supervision und Evaluation der Umsetzung. Der eigentliche Betrieb der Hochschule soll beim HIT Shenzhen liegen.

Die Shenzhen International Graduate School of Design ist das bisher grösste Projekt einer schweizerischen ­Hochschule in China.

Ein Austausch von Dozierenden und Studierenden mit der ZHdK ist Teil des akademischen Konzepts. Dies bietet die Möglichkeit, in einem ausserordentlich dynamischen kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld zu lehren, lernen und forschen. Damit einher geht der Erfahrungs- und Kompetenzaufbau in einem grossen internationalen Projekt für Dozierende und den wissenschaftlich-künstlerischen Mittelbau.

Der Campus des Harbin Institute of Technology in Shenzhen, im Vordergrund die Mensa. Foto: Heike Pohl

Der Campus des Harbin Institute of Technology in Shenzhen, im Vordergrund die Mensa. Foto: Heike Pohl © ZHdK

Die Kooperation mit einer der wichtigsten Hochschulen Chinas und einer der weltweit führenden Architekturhochschulen wird für die ZHdK zudem einen Zugewinn an Wissen und Erfahrung bedeuten, der auch in Zürich fruchtbar gemacht werden kann. Gleichzeitig soll mit dem Einbezug von lokalen Institutionen und Unternehmen ein starker Praxisbezug geschaffen werden. Unternehmen wie Tencent, das chinesische Pendant zu WhatsApp mit Hauptsitz in Shenzhen, das rund 500 Interaction und Game Designer beschäftigt, haben bereits reges Interesse an der lokalen Ansiedlung einer Designhochschule mit internationalem Hintergrund gezeigt. Und schliesslich fördert das Vorhaben, das sich in die lange Liste von Projekten einreiht, welche die ZHdK seit vielen Jahren mit Kunst- und Designhochschulen in China verbindet, den Zugang zum grossen chinesischen Markt für Schweizer Design.

Die Shenzhen International Graduate School of Design ist das bisher grösste Projekt einer schweizerischen Hochschule in China. Der Fachhochschulrat des Kantons Zürich hat dem Projekt im April 2014 zugestimmt. Am 28. Juli 2015 wurde die Kooperationsvereinbarung in Shenzhen formell unterzeichnet von ZHdK-Rektor Thomas D. Meier, Wu Yihuan, Vizestadtpräsidentin von Shenzhen, Ding Xuemei, Vizepräsidentin des Harbin Institute of Technology, und Areti Markopoulou, Direktorin des Institute for Advanced Architecture of Catalonia. Die Unterzeichnung fand im Beisein von Beat Schmid, Schweizer Konsul in Shanghai, und dem spanischen Botschafter statt. Der Stadtpräsident von Shenzhen, Xu Quin, dankte in seiner Rede auch der Provinz Guangdong für die Unterstützung dieses Projekts. In einem nächsten Schritt geht es nun um die Ausarbeitung von Werkverträgen, auf deren Grundlage die konkrete Arbeit in Angriff genommen werden kann.

Prof. Michael Krohn (michael.krohn@zhdk.ch) ist Leiter des Master-Studiengangs Design und stellvertretender Departementsleiter Design.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in Zett 2–15.
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