«Connecting Spaces» ist ein Experiment auf dem Weg zur Kunsthochschule von morgen. Ein Raum in Hong Kong schafft Freiräume für die Diskussion gesellschaftlich relevanter Fragen und für spannende Projekte.
VON LAURA SALLER
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Im Sommer 2014 wanderten sieben ZHdK-Studierende als Scouts durch Hong Kong. Ihre Mission war das theoretisch fundierte Flanieren und ihr Ziel das Erstellen einer Art Karte der Erlebnisse und Eindrücke. Das Konzept dazu haben sie zusammen mit Hayat Erdogan, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Theater an der ZHdK, entwickelt. Das Projekt hiess «Polytropos: Dada on Tour». Hayat Erdogan hat für das Projekt ihre theoretische Auseinandersetzung mit Ästhetik in eine praktische Versuchsanlage umgearbeitet. Das unbekannte Hong Kong bot den Angriffspunkt für das Unterfangen, gleichsam den Kristallisationspunkt, an dem die Theorie in die Praxis umgesetzt werden konnte.
Synergien schaffen
Internationale Projekte gab es an der ZHdK schon immer. Seit März 2014 hat die Hochschule dank «Connecting Spaces Hong Kong – Zürich» nun auch einen kleinen «Aussenposten» in Hong Kong. Damit schaffen Nuria Krämer, Leiterin und Kuratorin des Connecting Space in Hong Kong, und Patrick Müller, Leiter des Projekts «Connecting Spaces», eine Möglichkeit, die internationalen Zusammenarbeiten der ZHdK zu bündeln. Den Auftrag dazu erteilte die Hochschulleitung. Nun muss nicht jedes Projekt wieder bei null beginnen. «Natürlich ist es schön, Neuland zu betreten, doch manchmal ist es interessanter, tiefer schürfen zu können, weil man auf Erfahrungen bereits gemachter Projekte aufbauen kann», führt Nuria Krämer aus. Sie betreut den für dieses Projekt in Hong Kong zur Verfügung stehenden Raum, eine ehemalige Spiegelfabrik. Gleichzeitig soll die Internationalisierung der ZHdK mit «Connecting Spaces» ein Stück weit modelliert werden. «Die Erkenntnisse aus ‹Connecting Spaces› sollen den institutionellen Lernprozess sowie die hochschulweite Debatte zur Internationalisierung befruchten; das schliesst auch die Fremdwahrnehmung durch die Partner vor Ort ein», erklärt David Keller, Leiter International Affairs ZHdK.
Gern gesehener Gast
«Das erste Jahr war ereignisreich und voller neuer Bekanntschaften», erzählt Nuria Krämer. Zu den Nachbarn wird der Kontakt mit kleinen konkreten Gesten aufgebaut. Seit Kurzem gibt es zum Beispiel einen gemeinsam bewirtschafteten, «multikulturellen» Blumentopfgarten vor dem Space. Das Interesse der lokalen Kunst- und Designszene am Gast aus Europa muss nicht erst gefördert werden. Es ist bereits gross. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Kunstszene in Hong Kong im Aufbau oder jedenfalls in starker Entwicklung befindet und deshalb relativ übersichtlich und zugänglich ist. Und zur Verwendung des Raums – er kann auch von lokalen Akteurinnen und Akteuren genutzt werden – sind Ideen zur Genüge vorhanden. Raum ist auf der Insel Hong Kong ein Luxusgut.

Im März 2015 wurde der Connecting Space Hong Kong der ZHdK offiziell eröffnet. Fotos: Nuria Krämer © ZHdK
Auf Anklang stossen auch von der ZHdK initiierte Veranstaltungen mit lokalem Fokus. An der Podiumsdiskussion «Curating Hong Kong» beispielsweise hatten bedeutende Exponenten der Kulturszene Hong Kongs Gelegenheit, über ihre Vorstellungen zur Zukunft der Stadt zu debattieren. «Ein gelungenes Wagnis», findet David Keller, «eine spannende Debatte in einem Raum der ZHdK in Hong Kong, aber kuratiert und geführt von lokalen Akteuren und Akteurinnen. Man müsste sich das mal umgekehrt vorstellen.»
Wieso Hong Kong?
Die Veranstaltung «Curating Hong Kong» macht deutlich, wieso Hong Kong ein spannender Ort für eine Kunsthochschule ist. Die spezielle politische und ökonomische Lage, die Hong Kong unter starken Druck setzt, lässt dort Entwicklungen und Fragen, die jede Künstlerin, jeden Künstler und jede Kulturinstitution beschäftigen, pointierter zu Tage treten als an anderen Orten: «Wie lässt sich Freiraum für Kunst in durchökonomisierten Zeiten rechtfertigen? Wer kann und soll Räume für künstlerische Experimente zur Verfügung stellen? Wie viel politische Verantwortung wollen Künstlerinnen tragen, wie viel müssen sie tragen? Diese Fragen sind in der Kunstszene Hong Kongs omnipräsent», berichtet Nuria Krämer. «Die aufgrund der kolonialen Vergangenheit charakteristische Mischung aus ‹westlicher› und ‹chinesischer› Mentalität macht einen intensiven Austausch über solche Fragen möglich und interessant.» Zudem liegt Hong Kong in Asien relativ zentral und ist gut vernetzt. «Und an Asien kommt eine international ausgerichtete Hochschule nicht vorbei», ist David Keller überzeugt, «alleine schon aufgrund seiner flächenmässigen Grösse, seines zunehmenden ökonomischen Gewichts sowie der enormen Bevölkerungszahl.»
Zusammen arbeiten
Die Schweizer Studierenden aus Hayat Erdogans Projekt haben Hong Kong nicht alleine erkundet. Das Projekt wurde mit mehreren Hong Konger Hochschulen und Künstlern erarbeitet und durchgeführt. Die Studierenden haben ihre Mission zum Flanieren in gemischten Zweierteams in Angriff genommen. Ziel und Zweck internationaler Projekte einer Hochschule ist nicht zuletzt die Förderung interkultureller Kompetenzen der Studierenden. Alle Befragten sind sich einig, dass das Arbeiten an einem konkreten Vorhaben den Austausch erleichtert und intensiviert. «Es bannt auch etwas die Versuchung, einem mehr der Imagination denn der Erfahrung geschuldeten Reiz des Exotischen zu verfallen», findet Hayat Erdogan. Ab kommendem Herbst sollen zehn Studierende pro Semester im Rahmen eines Austausches ein Semester in Hong Kong studieren können.
Ausblicke
Neben dem Austauschprogramm wird eines der nächsten Ziele sein, die Präsenz von «Connecting Spaces» in Zürich zu erhöhen. Die ursprüngliche Idee war es, in einem Raum in Zürich als Teil des Projekts auch künstlerisch-technische Umsetzungen einer Zusammenarbeit über Distanzen zu entwickeln. Da dies nicht geklappt hat, soll nun eine «Basis» im Toni-Areal für mehr Präsenz im ZHdK-Alltag sorgen.
Und was bedeutet das Projekt für die Zukunft von internationalen Projekten an der ZHdK? Wird es ähnliche Projekte auch an anderen Orten geben? «In genau dieser Form eher nicht. Es wäre personell und finanziell nicht nachhaltig, mehrere solche Projekte zu führen», gibt David Keller Auskunft. Vielmehr soll in Hong Kong erprobt werden, welche Aspekte einer solchen Zusammenarbeit besonders fruchtbar sind, um danach «aus der Mitte heraus» neue partnerschaftliche Modelle für andere Orte oder Themen zu entwickeln.